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Predigt des Erzbischofs beim Festgottesdienst

Liebe Schwestern und Brüder!

Das Heinrichsfest 2014 ist dem neuen Gotteslob gewidmet. Wir sind in unserer Erzdiözese derzeit dabei, es bekannt zu machen, den Menschen ans Herz zu legen, die Gläubigen für das neue Gebet- und Gesangbuch zu begeistern, damit sie es benutzen und dadurch Nutzen aus ihm für ihr Leben ziehen. Das Gotteslob soll jeden einzelnen Christen, aber auch alle Suchenden und Zweifelnden beschenken und bereichern.

Das Motto des neuen Gotteslobes lautet: „Alles, was atmet, lobe den Herrn!“ (Psalm 150,6). Man findet diesen Psalmvers als ersten Text auf einer Seite, auf der sonst nichts steht. Gegenüber ist ein Ausschnitt aus dem Deckenfresko von Michelangelo aus der Sixtinischen Kapelle in Rom zu sehen, der die Erschaffung des Menschen darstellt. Er zeigt, wie sich die Finger von Gott und Mensch suchen, sich näher kommen, sich fast berühren, sich spüren ohne sich zu vereinen. Man muss dieses Bild und den Psalmvers in einer stillen Stunde betrachten. Ich lade dazu ein!

Das Fresko von Michelangelo zeigt die Situation des Menschen: Gott hat ihn nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen (vgl. Gen 1,26-27). Deshalb sucht der Mensch Gott, quasi als Entsprechung zu sich selbst, als Teil, der ihm fehlt, als Partner, den er braucht. In der zweiten Lesung aus dem Römerbrief hörten wir: „Die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes“ (Röm 8,19); der Mensch soll die Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes erhalten. „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir, o Herr“ schrieb Augustinus im fünften Jahrhundert. Das gilt immer! Ohne Gott ist der Mensch nicht vollkommen, bleibt er unruhig, wartet er sehnsüchtig und seufzt: Diese Situation des Menschen stellt das Bild dar.

Auf dem Gemälde scheint auch Gott den Menschen zu suchen. Gott streckt seinen Finger dem Menschen entgegen. Gott sagt von sich: „Es ist meine Freude, bei den Menschen zu wohnen“. Seit dem Sündenfall sucht Gott den Menschen und will ihm nahe sein. „Adam, wo bist du“? (Gen 3,9). Im vierten Hochgebet der Eucharistiefeier betet der Priester: „Immer wieder hast du den Menschen deinen Bund angeboten und sie durch die Propheten gelehrt, das Heil zu erwarten.“

Indem der Mensch Gott sucht, ihm näher kommt und spürt, dass sich Gott ihm auch nähert und sie nahe beieinander sind, kann der Mensch im Glauben und Vertrauen, in Hoffnung und Zuversicht leben; in der Liebe zu Gott, zu den Menschen und zu allen Geschöpfen findet der Mensch Erfüllung und Frieden.

Wie kommt der Mensch Gott näher? Indem er dem Raum gibt, was der Psalmvers „Alles, was atmet, lobe den Herrn!“ ausdrückt.

Es ist der letzte Vers des Buches der Psalmen. Mit ihm endet dieses Buch, das alle Höhen und Tiefen der Beziehung zwischen Mensch und Gott und der Menschen untereinander in Klage und Trauer, in Zorn und Ergebung, in Bitte und Dank, in Lob und Preis zum Ausdruck bringt. Nach allem hin und her zwischen Gott und Mensch spürt und erkennt der betende Mensch, dass Gott gut ist und er IHM vertrauen kann. Der Beter des Psalmes fasst deshalb schlussendlich seine Erfahrung zusammen im Ausruf: „Alles, was atmet, lobe den Herrn!“

Das neue Gotteslob ist eigentlich dazu da, dieses Bild des Michelangelo für jeden von uns persönlich, für die Familien, für die Gruppen und Vereine, für die Pfarreien und Ordensgemeinschaften zu verwirklichen. Es will und kann uns helfen, dass alles, was in uns, in allen Menschen und in der ganzen Schöpfung atmet, Gott lobt. Dadurch finden wir alle zu Gott und Erfüllung in IHM.

Wenn alles, was in uns ist, Gott lobt, hat das Auswirkungen für unsere Menschen- und Weltbeziehung. Wenn wir Gott loben, dann loben wir das Wahre, Gute und Schöne, das Gott geschaffen hat, bewahrt und vollenden wird. In der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils ‚Gaudium et spes‘ heißt es an mehreren Stellen, dass der Mensch für das Wahre, Gute und Schöne bestimmt ist und dass es ihn auch dazu hinzieht (vgl. u. a. GS 15-17; 42; 57; 76). Die eigentliche Sünde besteht darin, Gott nicht zu suchen und deshalb das Wahre, Gute und Schöne zu verfehlen und der Lüge, dem Bösen und Hässlichen zu verfallen. Wer Gott lobt, der kommt IHM und dem Wahren, Guten und Schönen näher und trägt dazu bei, dass in dieser Welt Gerechtigkeit und Friede, „Gaudium et spes - Freude und Hoffnung“ sowie die Bewahrung der Schöpfung verwirklicht werden. Jeder Mensch, der atmet und den Herrn lobt, findet die Fülle des Lebens, wird zufrieden und glücklich, strebt und erlangt den Himmel und trägt zum Wachsen des Reiches Gottes bei.

Das neue Gotteslob will uns zum Hören und Lesen, zum Bedenken und Meditieren des Wortes Gottes anregen. Es will uns helfen, die Sakramente und alle Gottesdienste innerlich mitzufeiern. Es fordert uns auf, zu singen und zu beten, zu preisen und zu danken. Das neue Gotteslob ist dazu da, dass erfüllt wird: „Alles, was atmet, lobe den Herrn!“; es ist dazu da, dass sich Gott und Mensch nahe kommen, auch wenn sie sich nicht ergreifen können.

So wirkt das neue „Gotteslob“ auch missionarisch. Das Wort Gottes soll allen zuteilwerden. Es kehrt nicht fruchtlos wieder zurück, wie die erste Lesung verkündete. Es soll sich ausbreiten wie Samen und Frucht bringen, so das Evangelium. Durch den Lobpreis Gottes wird die „Gottesfinsternis“ durch Gotteserkenntnis vertrieben, mehrt sich das Wahre, Gute und Schöne, schwindet die Nacht der Lüge, des Bösen und Hässlichen, wird unsere Welt immer mehr zum Reich Gottes der Gerechtigkeit, des Friedens und der Freude (vgl. Röm 14,17) für alle Menschen.

Das neue Gotteslob mit dem Motto „Alles, was atmet, lobe den Herrn!“ soll uns motivieren zum Lobpreis Gottes. Deshalb kann und möge mit seiner Verbreitung und Einführung auch die Zahl der Gottesdienstteilnehmer am Sonntag wieder steigen. Es ist kein unabänderliches Schicksal, dass es immer weniger Kirchenbesucher gibt und die Kirchenaustritte steigen. Mit dem neuen Gotteslob könnte eine Trendwende beginnen, das wünsche ich von ganzem Herzen. Wer Gott lobt und singt, wer zu Hause betet und gern zum Gottesdienst geht, der tritt nicht aus der Kirche aus! Möge das neue Gotteslob reiche Frucht bringen in der Diözese des heiligen Heinrichs und der heiligen Kunigunde, Gott zum Lob und den Menschen zum Heil!